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Ohne Worte

 

Eine Anhörung beim Bamf kann für einen lebenswichtig sein. Trotzdem sind die Dolmetscher oft schlecht qualifiziert. Warum?


21. Juni 2017

Der iranische Student Daniel, 26 Jahre alt und bis vor kurzem noch Asylbewerber, wartete mehrere Monate auf seine Anhörung. Als sie endlich kam, hatte er schon genug Deutsch gelernt, um zu verstehen, dass sein Dolmetscher nichts taugte.

„Ich erzählte, dass mir ins Bein geschossen worden sei“, erinnert er sich. „Der Dolmetscher übersetzte, man habe mich geschlagen.“ Daniel sagt, er habe den Afghanen angefleht, Wort für Wort zu übersetzen, weil sein weiteres Leben davon abhänge.

„Okay, sag mir nur, was wichtig ist“, habe der Mann geantwortet.

Daniel erzählt, er habe die Anhörung nach 20 Minuten abgebrochen. Ihm sei ein neuer Dolmetscher zugewiesen worden. Der sei qualifiziert genug gewesen, um die folgenden sechseinhalb Stunden mit einem Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu übersetzen.

Die Geschichte ist glimpflich abgelaufen, doch so etwas passiert häufig, und geht nicht immer gut aus. Der SPIEGEL hat mit mehreren Dolmetschern gesprochen, die anonym bleiben wollen, weil sie Angst haben, keine Aufträge mehr zu bekommen.

Einer, nennen wir ihn Herrn Sistani, betreibt ein Büro mit rund vier Dutzend Dolmetschern, die das Bamf regelmäßig bucht. Er ist so vorsichtig, dass an dieser Stelle nicht einmal die Region stehen darf, in der er arbeitet.

Sistani erzählt, dass eine Mitarbeiterin des Bamf einen seiner Kollegen und einen Geflüchteten in ihr Büro gerufen habe. Der Asylbewerber sollte ein Formular unterschreiben, in dem er sich bereiterklärte, freiwillig in seine arabische Heimat zurückzukehren.

Der Geflüchtete fiel aus allen Wolken, denn das hatte er gar nicht vor. Bei einem früheren Treffen mit der Mitarbeiterin hatte ihn ein anderer Dolmetscher falsch übersetzt. Dieser andere Dolmetscher arbeite immer noch für das Bamf, sagt Sistani. „Das ist grausam.“

Solche Fälle sind Ausnahmen, keine Frage. Aber sie geschehen immer wieder, weil mehrere Faktoren sie begünstigen.

Erstens: Es gibt kaum Vorgaben, was ein Dolmetscher können muss. Zwar müssen Dolmetscher für mehr als ein Dutzend Sprachen beim Bamf neuerdings in Deutsch die fortgeschrittene C1-Prüfung bestanden haben. Doch für die jeweilige Fremdsprache sind keine bestimmten Qualifikationen nötig. Das Bamf hält den Abschluss eines sprachenbezogenen Studiums lediglich für „wünschenswert“.

Die meisten Pannen fallen nicht auf

Über 8500 Sprachmittler sind bundesweit für das Bamf in Asylverfahren tätig. Bisher überprüften Mitarbeiter des Bundesamts deren fachliche Fähigkeiten ausschließlich, während sie auf Deutsch mit ihnen übers Honorar verhandelten – und während der ersten Einsätze vor Ort.

Das Problem: Die meisten Pannen, die in den Anhörungen passieren, fallen gar nicht auf. Ein junger Iraner aus Hamburg erzählt, wie er in seiner Anhörung von den tausend verbotenen Büchern berichtete, die er in seiner Heimat auf seinem Laptop gespeichert hatte. Viele davon hatte er gelesen.

Sein Dolmetscher habe jedoch übersetzt, dass er keins der Bücher studiert habe. Das Bamf lehnte den Antrag ab. „Sie begründeten das mit den ungelesenen Büchern“, sagt der Iraner. Er zog vor Gericht, nun darf er doch bleiben.

Asylbewerber haben Anspruch darauf, sich das deutsche Protokoll der Anhörung mündlich in ihre Muttersprache rückübersetzen zu lassen. Doch in dem Moment sind sie wieder abhängig von dem, was der Dolmetscher sagt. Es muss keine Absicht sein, wenn sich auch hier Fehler einschleichen, nach einem anstrengenden mehrstündigen Interview.

Das deutsche Protokoll müssen die Asylbewerber direkt nach der Anhörung unterschreiben. Danach ist es sehr schwer, Übersetzungsfehler anerkannt zu bekommen.

Bei der Polizei ist es kaum besser

Woanders sieht es kaum besser aus. Nur Gerichte setzen üblicherweise voraus, dass Dolmetscher beeidigt sind. Teilweise tut dies auch die Polizei. „In einigen Bundesländern, etwa in Bayern, zieht die Polizei jedoch aus Kostengründen häufig unbeeidigte Laiendolmetscher heran, die über keine Qualifikationen verfügen“, kritisiert Thurid Chapman vom Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer.

Doch auch eine Beeidigung oder Vereidigung, wie sie auch heißt, garantiert nicht, dass ein Dolmetscher gut ist. Sie bedeutet lediglich, dass er sich verpflichtet hat, gewissenhaft zu übersetzen und verschwiegen zu bleiben. Ob er auch sprachlich kompetent ist, überprüfen nur einige Bundesländer streng, darunter Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen.

Ein weiteres Problem: Dolmetscher arbeiten in der Regel freiberuflich. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt, jeder darf sich so nennen. Entsprechend groß ist oft die Konkurrenz.

„Wenn eingesetzte Dolmetscher die an sie gestellten Anforderungen nicht erfüllen, werden diese nicht mehr gebucht“, teilt der größte Arbeitgeber, das Bamf, mit. Weil das so einfach ist, möchte kein Dolmetscher in diesem Artikel namentlich auftauchen. „Ich habe gelernt, nicht immer den Mund aufzumachen, sonst schneide ich mir den eigenen Ast ab“, sagt einer.

„Sie übersetzen einfach irgendwas“

Der Hamburger Rechtsanwalt Peter Schlame begleitet schon seit 13 Jahren Asylbewerber zu ihren Anhörungen. „Man hat mitunter das Gefühl, dass Dolmetscher sich scheuen, Schwächen zu zeigen“, sagt er. „Wenn sie nicht weiterwissen, übersetzen sie manchmal einfach irgendwas.“

Hinzu kommt, dass nicht nur die Sprache zählt, sondern auch der kulturelle Hintergrund. „Es kommt nicht selten zu ethnisch schwierigen Konstellationen“, sagt Schlame. Er berichtet von einem Angehörigen der afghanischen Minderheit Hazara, der einem paschtunischen Dolmetscher erzählen sollte, wie sein Dorf von Paschtunen angegriffen worden war. „Es ist nicht überraschend, wenn sich solche Mandanten dann gehemmt fühlen“, sagt Schlame.

Das Bamf teilt dazu mit: „Bei der Auswahl des Dolmetschers für eine konkrete Anhörung werden kulturelle und ethnische Hintergründe des Asylbewerbers soweit wie möglich berücksichtigt.“

Das mag tatsächlich nicht immer möglich sein. Auf eine Anfrage der Grünen antwortete das Bundesinnenministerium im vergangenen Mai, dass besonders für Arabisch, Kurdisch, Persisch, Paschtu und das eritreische Tigrinya oft nicht genügend Dolmetscher zu finden seien. Das liege auch daran, dass Deutschland nicht auf eine jahrzehntelange Zuwanderung aus den entsprechenden Herkunftsländern zurückblicke.

„Es sollten sich qualifizierte Personen finden lassen“

Vielleicht liegt es auch daran, dass sich kaum jemand verantwortlich fühlt und formal keine Notwendigkeit besteht, zugewanderte Dolmetscher ordentlich auszubilden.

Seit Beginn der Achtzigerjahre gebe es eine eritreische Einwanderung in Deutschland, kritisiert die Organisation ProAsyl. „Ebenso blickt Deutschland auf vier Jahrzehnte erfolgreicher Integration von Menschen aus Afghanistan zurück. Es sollten sich, vernünftige Arbeitsbedingungen und Honorare vorausgesetzt, qualifizierte Personen finden lassen.“

Das Bamf zahlt Dolmetschern in der Regel zwischen 25 und 32 Euro pro Stunde. Erhöhungen des Honorars müssten individuell und mühsam mit der Bamf-Zentrale in Nürnberg ausgehandelt werden, erzählt Dolmetscher Sistani. Nach 15 Jahren bekomme er nun 32 Euro in der Stunde.

Der Berg ist nur verschoben

Das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, das die Bezahlung von Dolmetschern bei Gerichten und zum Teil auch bei Behörden regelt, gilt für das Bamf nach eigenen Angaben nicht. Das Gesetz sieht Honorare von 65 bis 100 Euro pro Stunde vor.

Mit einer besseren Bezahlung und einem mündlichen Sprachtest für Dolmetscher könnte das Bamf vielleicht dafür sorgen, dass mehr Menschen, die unter Lebensgefahr hierher geflüchtet sind, ihre Geschichte jemandem erzählen, der sie korrekt übersetzen kann.

Doch an fehlenden Standards für die Zielsprache wird sich so bald nichts ändern: Für viele Sprachen und regionale Dialekte gebe es keine Möglichkeit, Sprachnachweise zu erlangen, heißt es beim Bamf.

„Wenn ein echter Wille da wäre, ließe sich viel bewegen“, sagt hingegen Rechtsanwalt Schlame. „Doch das wichtigste Ziel des Bamf heißt: den Berg an Asylanträgen abbauen.“

Doch der Berg ist nicht weg, er ist nur verschoben: Asylbewerber, die gegen aus ihrer Sicht ungerechte Ablehnungen klagen, bringen derzeit Verwaltungsgerichte bundesweit an ihre Grenzen.


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